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Wie finde ich den richtigen Ort zur Entbindung?

Oftmals ist dieses eine schon fast philosophische Frage. Hausgeburt oder Kliniksgeburt? Und wenn Klinik welche?

Eines möchte ich gerne voranstellen:

Stellen Sie sich vor sie brauchen einen Anwalt. Schauen sie dann im Internet nach wer das schönste Sprechzimmer hat, wer besonders nett aussieht, wer in ihrer Nähe ist?

Ganz sicher nicht – hier stellt sich keine philosophische Frage sondern es ist ganz klar: Ich suche mir einen Spezialisten für den Bereich, in dem ich einen Anwalt brauche. Auch wenn dieser nicht in meinem Ort oder direkter Nähe, denn mit ist Qualifikation wichtig.

Und bei der Geburt, die das Leben des Kindes entscheidend beeinflussen kann. Insbesondere dann, wenn ein unvorhersehbarer Notfall eintritt? Ist da wirklich entscheidend, ob die Klinik von Oma und Opa gut erreicht werden kann? Ob der Kreissaal schön eingerichtet ist mit einem gemütlichen Sessel auch für den Ehemann. Und ich ein Elternzimmer bekommen kann?

Auch dort sollte doch frei von Philosophie die Qualität und die für den Notfall bereitstehenden Ressourcen an Personal, Geräten und Kompetenz ausschlaggebend sein. Zum Wohl des Kindes.

Doch wie ist es mit dem Wohlfühlfaktor? Ohne Zweifel ist eine entspannte und vertrauensvolle Atmosphäre für ein gutes Geburtserlebnis wichtig. Vielleicht ist es auch für einen guten Geburtsverlauf und eine höhere Rate an normalen Geburt verantwortlich. Zumindest wird dieses von den Befürwortern behauptet – obwohl es bis heute dafür in keiner Weise einen wissenschaftlichen Nachweis gibt. Festzustellen ist aber, dass z.B. in den Niederlanden bei einem Anteil von 30% Hausgeburten 100 von 10.000 Kindern versterben, während es in Deutschland 43 von 10.000 sind – bei einem Hausgeburtenanteil von 2%.

Am Ende entscheidet jedes Paar selbst, was für sie und das Neugeborene wichtig ist. Damit sie überhaupt entscheiden können brauchen sie jedoch Wissen, welches oft nicht wirklich einfach zu bekommen ist.

Zum einen gibt es Strukturvorgaben / das was von den Entbindungskliniken vorgehalten werden muss für den jeweiligen Level. Und was steckt also hinter den Begriffen Perinatalzentrum Level-1 bis Level-4? Was bedeutet Geburtsklinik (=Level-4), was sind die Charakteristika eines geburtshilflichen Schwerpunktes (Level-3), und was zeichnet Level-2 bzw. Level-1 Zentren aus. Und wie sind die Regeln für eine Hausgeburt? Das stelle ich in der Folge dar:

Geburtsklinik (Level-4-Klinik)

Eine Geburtsklinik ist meist gekennzeichnet durch eine relativ geringe Geburtenzahl < 800 Geburten/Jahr sowie ein Belegarztsystem. Es dürfen nur Schwangere ab der 37+ SSW ohne auch nur leichte Schwangerschaftsrisiken entbunden werden. Während der Kernarbeitszeit ist zumindest eine Hebamme im Krankenhaus, der Arzt wird im Bedarfsfall gerufen – wenn er nicht im Krankenhaus ist. Dies ist typischerweise zumindest außerhalb der Kernarbeitszeit so. Und dieser Zeitraum umfasst 75% der Gesamtzeit einer Woche – ist also meistens der Fall. Gleiches gilt für das für einen Notkaiserschnitt erforderliche Team aus Anästhesie und Pflege. Bei einem Notfall vergeht so kostbare Zeit. Es kann unter der Geburt immer zu einem unvorhersehbaren Notfall kommen, wenn sich zum Beispiel der Mutterkuchen löst. Die Situation gleicht der, wenn sie ohne Sauerstoffflasche tauchen. Braucht der Arzt nur 10 Minuten in die Klinik…..sie können sicher gut nachvollziehen, dass das keine gute Situation ist. Ein KInderarzt ist nicht im Haus.

Level 3: Schwerpunktklinik

Dagegen klingt Schwerpunktklinik doch schon richtig gut. Doch auch hier schlafen außerhalb der Kernarbeitszeit die Ärzte daheim. Der Unterschied ist der, dass in der Kernarbeitszeit ein Arzt in der Klinik anwesend sein muss. Aber eben nur in dieser Zeit – in 75% der Woche ist er nicht da und es stellt sich dasselbe Problem wie in einer Geburtsklinik. Es dürfen Schwangere ab der 34+ SSW entbunden werden – oder Schwangere ab 37+ SSW mit leichten Risiken. Zwillinge oder ähnliche Risikokonstellationen sind dort nicht hinreichend gut aufgehoben.

Und wie ist es mit einem Kinderarzt? Ist der wenigstens zur Stelle, wenn das Kind direkt nach der Geburt Hilfe braucht? Weder in einem Level-3 (Schwerpunkt) noch in einem Level-4 (Geburtsklinik) ist ein Kinderarzt dafür vorgesehen. Dafür gehen diese Kliniken Kooperationen mit Level-1 oderLevel-2-Zentren ein. Bei einem Notfall wird diese Klinik informiert und ein Spezialist für Neugeborene (das ist eine besondere Zusatzausbildung, nennt sich Neonatologe) macht sich auf den Weg. Typische Wegezeiten liegen bei 20-30 Minuten, die das Neugeborene irgendwie überbrücken muss.

Level-1 bzw. Level-2-Perinatalzentren

Level-1 bzw Level-2-Zentren sind demgegenüber verpflichtet, rund um die Uhr und jeden Tag, ja auch an Weihnachten und Sylvester, höchstqualifiziertes Personal bereitzuhalten. Dieses muss aus mindestens einem Frauenarzt mit der Zusatzausbildung „spezielle Geburtshilfe und Perinatalmedizin“, einem weiteren Frauenarzt sowie einem Kinderarzt mit der Zusatzausbildung „Neonatologie“ sowie einem zweiten Kinderarzt bestehen. Zusätzlich muss rund um die Uhr eine Notsectiobereitschaft aus Anästhesist, Anästhesiepflege, 2 OP-Fachkräften vorhanden sein. Ziel ist dabei, die Zeit zwischen dem Notfall und der Entbindung (E-E-Zeit) möglichst kurz zu halten. Nach allgemeiner Rechtsprechung sollte eine E-E-Zeit unter 10 Minuten liegen, für Level 3 und 4-Zentren sind E-E-Zeiten unter 20 Minuten vorgeschrieben. Damit wird der Realität Rechnung getragen, dass in level-3 und -4-Zentren eben eine „Anreise“ des Personals erforderlich ist.

Wo liegt nun der Unterschied zwischen Level-1 und Level-2-Zentren? Der Unterschied liegt in der Erfahrung. Level-1-Zentren müssen pro Jahr eine bestimmte Zahl von Neogeborenen unter 1250g behandeln und dabei strenge Kriterien erfüllen, die jährlich geprüft werden. Diese Zentren sind qualifiziert jedwege Schwangere zu betreuen ab Beginn der möglichen Lebensfähigkeit des Neugeborenen. Und diese beginnt etwa mit der 23+ SSW und 400-450g Geburtsgewicht. Level-2-Zentren sollen Kinder unter 1250g nur im absoluten Notfall entbinden – wenn eine Verlegung in ein Level-1-Zentrum nicht mehr möglich ist. Sie sind für die Betreuung von Schwangeren und Entbindenden ab der 29+ SSW sowie ab 1250g ausgestattet. Beide Level haben eine Kinderklinik, von der natürlich auch die Kinder profitieren, die ganz normal am Termin geboren werden aber unvorhersehbare Probleme unter oder nach der Geburt auftauchen.

Woran erkenne ich eine gute Klinik

Neben der Level-Einteilung: Aus welchen weiteren leicht zugänglichen Zahlen können sie die Qualifikation einer Klinik ablesen? Einen groben Anhalt bietet schon die jährliche Zahl an Entbindungen. Es ist für jeden verständlich, dass ich etwas besser kann, wenn ich es öfter mache. Insbesondere dann, wenn besonders knifflige Situationen oder Notfälle entstehen, die selten sind. Allgemein ist davon auszugehen, dass ab etwa 1500-1800 Geburten auch seltene schwere Notfälle in einer Zahl auftreten, dass sich das Team mit der adäquaten Behandlung auskennt. Bei nur 300-500 Geburten zeigt sich leider, dass gelegentlich wertvolle Zeit vergeht, bis adäquat gehandelt werden kann. Oft eben auch, weil kein Arzt geschweige denn ein Spezialist für Geburtshilfe und ein Spezialist für Neogeborene vor Ort sind.

Wo habe ich die besten Chancen auf eine normale Geburt

Sie möchten gerne eine normale Geburt und keinen Kaiserschnitt? Auch hier gibt es Zahlen, die allerdings für den Laien nur schwer einsehbar und verständlich sind. Wichtig ist dabei, dass Äpfel mit Äpfeln verglichen werden. Dafür gibt es die sogenannte Robson-Klassifikation. Robson 1 bedeutet, dass die Schwangerschaft mindestens 37+0 SSW erreicht hat, das Kind in Schädellage liegt und kein Kaiserschnitt in einer vorherigen Schwangerschaft war. Diese Klassifikation ist gleichbedeutend mit den Frauen, die in einer Geburtsklinik oder in einem Geburtshaus entbinden können oder auch eine Hausgeburt machen möchten. Für Level-3,2 und 1-Kliniken gibt es diese Zahlen auch. Interessieren sie diese Zahlen?

Ich habe nur die Zahlen unseres Level-1-Zentrums, diese liege bei etwa 7%. Allgemein liegt diese Zahl für Level-1-Zenten in dieser Größenordnung. Für Level-2 und Level-3-Zentren verfüge ich über keine Zahlen, aber die für Level-4, also die Geburtsklinik gibt es diese Zahlen sehr wohl, denn sie entspricht per Definition der Gesamtsectiorate dieser Kliniken. Und diese liegen im Schnitt bei 30% in Deutschland.

Die Grünen haben übrigens – damals noch in der Opposition – eine Anfrage an das Bundesgesundheitsministerium gestellt. Wenig erstaunlich wurde gesagt, dass diese hohe Sectiorate in den kleinen Kliniken eben darauf zurückzuführen sei, dass außerhalb der Kernarbeitszeit die ärztliche Versorgung evtl. schwierig sei und deshalb drohenden Risiken frühzeitig durch eine Entbindung per Kaiserschnitt begegnet werde.

Quintessenz aus dem ganzen ist ganz objektiv und mit Zahlen belegbar, dass sie als schwangere wohl besser in eine große Klinik gehen, wenn sie ganz normal entbinden wollen und eben nicht in die kleine Klinik nebenan. Der Weg lohnt sich.

Oft wird als Gegenargument angeführt, dass es in großen Kliniken anonym zugehe und die Geborgenheit fehle. Wie finden Sie also die richtige Klinik für Geburtshilfe, wo Kompetenz und zugleich Eingehen auf die Wünsche des Paares vorhanden sind. Bewertungsportale sind immer sehr subjektiv, bei genügend großer Zahl von Beiträgen können sie einen ersten Eindruck bekommen. Ein weiterer Anhalt in meinen Augen ist, ob die Klinik einen Geburtshelfer oder einen Spezialisten für z.B. Krebserkrankungen (Onkologen) als Chef hat. Optimal ist es zumeist, wenn die Klinik einen Chef hat, der zumeist Onkologe ist und einen z.B. Abteilungsleiter oder Co-Chef für Geburtshilfe hat. So können Sie davon ausgehen, dass der „Chef der Geburtshilfe“ für den Bereich der Geburtshilfe medizinisch verantwortlich ist ein passionierter Geburtshelfer aus Leidenschaft ist.

Mein Tip zur Kliniksauswahl: Wenn es Ihnen um die Geburt eines gesunden Kindes geht und sie möglichst wenig Risiken eingehen wollen entscheiden sie sich für ein Level-2 oder Level-1-Zentrum. Wenn es in erreichbarer Umgebung mehrere gibt (bis 1h Anfahrt sollte in der Regel kein Problem sein), wählen sie zwischen diesen z.B. danach aus, ob die Geburtshilfe separat ärztlich durch einen Abteilungsleiter / Co-Chef / Chefarzt geleitet wird und lesen Sie Erfahrungsberichte, wenn diese in großer Zahl vorliegen. Einzelmeinungen können sehr einseitig sein – sowohl positiver wie negativer Natur. Und zu guter Letzt haben sie das Recht, sich dort oder auch in mehreren Kliniken zur Planung der Geburt vorzustellen und einen eigenen persönlichen Eindruck zu bekommen.

Soweit die umfangreichen Informationen zu den einzelnen Formen von Geburtskliniken und was sich hinter den Bezeichnungen verbirgt.

Thema Hausgeburt oder Geburtshaus?

Sie haben sicher bereits bemerkt, dass es mir vordringlich um das Thema gesundes Kind und gesunde Familie geht. Falls sie eine risikofreie Schwangerschaft haben, die 37+ SSW erreicht haben und auch sonst keine Risiken vorliegen darf eine Hebamme mit Ihnen eine Hausgeburt oder eine Geburt im Geburtshaus durchführen, wenn eine Klinik in 20 Minuten erreichbar ist. Um diesen Entschluss zu fällen brauchen sie ebenfalls hinreichend Informationen.

Es wird in der Regel gesagt, dass bei Problemen man eben schnell in die Klinik fährt (s.o.). Wenn sie sich nun überlegen, die oben geschilderte vorzeitige Plazentalösung passiert zu Hause – wie sind dann die Chancen des Kindes. Bis das Problem erkannt wird vergehen im Idealfall nur wenige Minuten. Sie springen also unter starken Wehen schnell ins Auto und brausen in die Klinik. Selbst wenn die Klinik nur 5 Minuten entfernt ist vergehen objektiv in der Regel mindestens 15-20 Minuten selbst bei einem Notfall bis sie in der Klinik eintreffen. Dort nimmt man sie im Idealfall des vorher Ankündigens und Vorbereitens eines Notkaiserschnittes gut vorbereitet an und führt den Notkaiserschnitt durch, der das Kind binnen 5 Minuten (eine absolute TOP-Zeit) auf die Welt bringt.

Wenn wir die Zeiten zusammenrechnen kommen mehr als 20 Minuten zusammen – also mehr als die erlaubten 20 Minuten E-E-Zeit für eine Geburtsklinik. Dort hatte ich bereits geschrieben, welche Folgen das für das Kind haben kann.

Gibt es dazu Zahlen / Statistiken / Erfahrungen?

z.B. in den Niederlanden wurde vor gut 20-30 Jahren von der Kliniksgeburtshilfe auf eine großflächige Hausgeburtshilfe umgestellt. Alle Frauen ohne Risiken durften nicht mehr in Kliniken entbinden sondern sollten zuhause ihr Kind bekommen unter Hebammenbetreuung. Zur Sicherheit stand bei jeder Hausgeburt ein Krankenwagen vor der Tür. Das Ergebnis war ein starker Anstieg an verstorbenen Müttern und Kindern trotz der Selektion, die auch den Kriterien in Deutschland entspricht. Heute – ohne diese Vorschrift – entbinden etwa 30% der Niederländerinnen daheim, es versterben nach der aktuellen Statistik 100 von 10.000 Kinder im Rahmen der Geburt oder kurz danach. In Deutschland liegt diese Zahl bei 43 von 10.000 bei 2% Hausgeburten.

Liegt die Gefahr nur beim Kind?

Wenn wir heute in der Klinik eine Frau verlieren, dann zumeist wegen unstillbarer Blutungen. Sie stellen das weitaus größte Problem dar und sind selbst in der Klinik nicht immer beherrschbar. Wichtig ist ein frühzeitiges reagieren, bevor die Frau zu viel Blut und vor allem zu viele Gerinnungsfaktoren verliert. Die Gebärmutter ist in einer gut verlaufenden Schwangerschaft typischerweise mit 700 ml / Minute durchblutet. Wenn sich der Mutterkuchen nach der glücklichen Geburt des Kindes nicht richtig oder unvollständig löst oder die Gebärmutter sich nicht gut zusammenzieht sind schwerste Blutungen die Folge. Das Problem ist, dass diese Probleme in der Regel unvorhersehbar sind. Innerhalb weniger Minuten kann die Frau einen Kreislaufkollaps erleiden. Eine Transportzeit von nur wenigen Minuten ist da schon verheerend und endet leider auch heute noch – wenn nicht rechtzeitig reagiert werden kann – mit dem Versterben der Mutter.

Werten sie diese Zahlen bitte selber bei der Auswahl. Wissen sollten sie unbedingt, dass eine ambulante Geburt in nahezu jeder Klinik möglich ist und sie sich dafür auch nicht vorher entscheiden müssen. Wenn alles gut verlaufen ist und sie sich fit fühlen gehen sie etwa 4h nach der Geburt wieder heim. Und wenn nicht war es letztlich gut, dass sie sich für diesen Weg entschieden haben.

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